Auf dem Dürkheimer Wurstmarkt kümmert sich kein Mensch um Kombinationen. Passt der Dornfelder zur Bratwurst? Oder doch der Riesling? Und was soll ich zu meinen Pommes trinken? Und nachher zur Pizza vom Blech? Auf dem größten Weinfest der Welt, zu dem jedes Jahr im September mehr als eine halbe Million Besucher ins pfälzische Bad Dürkheim strömen und an fast 60 Ausschankbuden zechen, was die Gläser hergeben, stellt sich niemand solche Fragen. Es wird getrunken und gegessen, was gefällt – oder was in dem ganzen Trubel gerade zur Hand ist. Alle Anstandsregeln für den richtigen Weingenuss sind auf dem Dürkheimer Wurstmarkt außer Kraft.
Aber das sind sie im Grunde nicht nur auf den Weinfesten dieser Welt. Die alten Konventionen, die noch bis in die Neunzigerjahre hinein die vollendete Kombination von Speisen und Weinen bestimmen sollten, gehören längst der Vergangenheit an. Weißwein zu hellem Fleisch und Fisch, Rotwein zu dunklem Fleisch und Käse, Sekt und Champagner zum Aperitif und zu besonderen Anlässen – alles Quatsch! Wer mag, trinkt heutzutage den ganzen Abend und ein ganzes Menü hindurch einen Schaumwein, und der Sommelier empfiehlt zu den Meeresfrüchten vielleicht mal einen Spätburgunder und serviert ihn womöglich sogar gekühlt – alles kein Problem. Die Welt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert und mit ihr auch die Weinwelt und ihre Etikette.
Im Gegensatz zu früher spielen Farbe und Herkunft eines Tropfens keine Rolle mehr. Viel zu groß ist inzwischen die Vielfalt in den Küchen und Weinbergen – und die Individualität der Geschmäcker. Wichtiger für eine gelungene Kombination von Wein und Speise sind der Körper und der Charakter der potentiellen Partner. Mit ein bisschen Mut und ohne die starren Regeln von einst lassen sich unendlich viele interessante Paarungen finden. Die Kombinationsmöglichkeiten sind schier unendlich, und im Prinzip gibt es kaum eine Speise, zu der man keinen Wein trinken kann. Nur in wenigen Fällen ist wirklich gar nichts zu machen: Rollmops, Mixed Pickles, gekochten Eiern und Eisbein ist praktisch nicht beizukommen. Dafür sind sie einfach zu sauer, zu schmierig oder zu fettig. Doch für die meisten anderen Problemfälle gibt es durchaus passable Lösungen.
Für Artischocken zum Beispiel: Die haben wegen ihrer Bitterstoffe oft einen metallischen Geschmack. Aber je besser sie in ein Gericht eingebunden sind, desto besser verstehen sie sich auch mit dem Begleiter. Ähnliches gilt für Spargel, Spinat und Tomaten, die mit ihrer Säure vor allem leichten Weinen zu schaffen machen können, aber nicht unvermittelbar sind. Deutlich schwieriger sind da schon rohe Zwiebeln, Radieschen und Rettich mit ihrer bitteren Säure, ihren ätherischen Aromen und ihrer mehr oder minder ausgeprägten Schärfe. Bier passt am besten – wenn es unbedingt Wein sein muss, dann vielleicht knackiger Sauvignon Blanc, sicher aber knochentrockener Fino Sherry.
Richtig fies wird es mit Räucherfisch und Salzhering. Lachs und Forelle gehen ja noch, aber geräucherter Aal, Bückling und Makrele, Bismarckhering und Matjes sind der Tod jeden Weins. Wenn überhaupt, dann wird sehr kräftiger, möglichst gereifter Riesling damit fertig. Am besten passt aber auch hier die Wunderwaffe: ein sehr trockener, eiskalt servierter Sherry.
Für alle anderen Speisen lässt sich im Grunde problemlos der richtige Wein finden. Und wenn die alten, starren Regeln auch passé sind – von drei Grundsätzen sollte man sich leiten lassen:
Erstens: Gleich und gleich gesellt sich gern. Das gilt vor allem für die Herkunft. Stammen Wein und Speise aus der gleichen Region, ergeben sie oft eine tolle Paarung: etwa französische Gänseleber mit Sauternes, toskanischer Pecorino-Käse mit Chianti Classico oder Flammkuchen mit Elsässer Riesling. So unterschiedlich die Geschmacksbilder dieser Kombinationen auch sind, viele regionale Verwandtschaften haben sich über Jahrhunderte entwickelt und bewährt.
Zweitens kann sich die Gleichheit statt auf die Herkunft auch auf den Charakter beziehen. Denn ein schweres Fleischgericht mit starken Aromen braucht einen ebenso vollmundigen Begleiter. Und ein Salat mit frischen Zutaten freut sich über einen leichten, spritzigen Partner. Je üppiger eine Speise ist, desto fülliger und kraftvoller kann auch der Wein dazu sein.
Drittens profitieren die beiden Partner oft auch davon, wenn sie ähnliche Aromen mit in die Verbindung bringen. Erdige Wildgerichte mit Pilzen etwa machen sich gut mit Spätburgundern, die ihrerseits Assoziationen zu feuchtem Unterholz und Walderde hervorrufen. Gewürztraminer mit ihren Anklängen an exotische Früchte passen bestens zu intensiv gewürzten asiatischen Gerichten. Und Chardonnays, die durch den Ausbau in kleinen Eichenholzfässern buttrig-schmelzige Noten bekommen haben, harmonisieren sehr gut mit Buttersoßen aller Art.
Für solche Gleichklänge gibt es zahlreiche Beispiele, mindestens ebenso viele aber auch für das Gegenteil, das gut mit einem zweiten Sprichwort zu beschreiben ist: Gegensätze ziehen sich an. Bei Weinen und Speisen bedeutet das vor allem: Salziges und Süßes, Scharfes und Fruchtiges, Saures und Neutrales, Altes und Junges, Spritziges und Gereiftes. Und darum kann man auf dem Dürkheimer Wurstmarkt auch ohne schlechtes Gewissen fruchtigen Riesling zur Bratwurst und halbtrockenen Dornfelder zu den Pommes trinken. Warum auch nicht?
2023-03-18T11:18:18Z dg43tfdfdgfd